Thilo Kraneis will Pödelwitz vor dem Verschwinden bewahren
Thilo Kraneis breitet die Arme aus. „Da drüben war Droßdorf, mein Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, und da vorne Peres, wo ich zur Schule gegangen bin.“
Heute erstreckt sich an dieser Stelle eine quadratkilometergroße Vertiefung, in der sich Bagger durch die Braunkohle arbeiten.
Thilo Kraneis gehört zu dreißig Verbliebenen im Dorf Pödelwitz bei Leipzig, das sich in einem seit Jahrzehnten genutzten Gebiet für Braunkohle befindet. Bereits in den Sechzigerjahren „rückte“ die Braunkohle, wie es hier heißt, bis an den westlichen Dorfrand. Die Grube ist mittlerweile wieder zugeschüttet, nun wird an anderen Stellen weitergebaggert. Kraneis musste deshalb mehrfach umziehen und zusehen, wie sein Zuhause verschwand. In Pödelwitz wohnt er nun seit Anfang der 1980er Jahre und er beschloss, sich der heranrückenden Gefahr zu widersetzen.
Bürgerprotest und die Mibrag
Die Bürgerinitiative Pro Pödelwitz organisiert Aktionen, die mediales Aufsehen hervorrufen. Sie wird unterstützt u.a. von Greenpeace, dem World Wide Fund For Nature (WWF) und Ende Gelände, die sich aktuell auch in den Protestaktionen um den Erhalt von Lützerath engagieren. Manche Aktionspläne gehen selbst Kraneis zu weit. An Besetzungen zum Beispiel will er sich nicht beteiligen. Deswegen begrüßt er das Vorgehen von Archäologen, die sich um die mittelalterliche Bausubstanz einiger Fachwerkhäuser kümmern. „So sammeln wir Argumente für den Erhalt von Pödelwitz“, sagt Kraneis. Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag) will den Braunkohletagebau vorantreiben.
Ungleiche Gegenüber
Ein Planfeststellungsverfahren, das für den Braunkohleabbau durch die Mibrag durchlaufen werden muss, gibt es noch nicht. Die beiden Parteien, ein Großunternehmen der Energiebranche auf der einen Seite und die Bewohnerinnen und Bewohner eines kleinen Dorfes auf der anderen, hoffen gleichermaßen auf die Zeit. Es ist ein Status quo, ein Innehalten: Kraneis und seine Mitstreiter hoffen darauf, dass das mediale Aufsehen in der Bevölkerung größer wird und die Mibrag das Interesse an der Kohle unter Pödelwitz verliert. Die Mibrag hofft auf die politisch gewollte Stilllegung der Atomkraftwerke, die die Kohlevorkommen wichtiger machen würde.
Identität versus Gewinnstreben
Die Auseinandersetzung ist noch nicht zu Ende, die Argumente sind ungleich. Kulturelle und bauhistorische Identität von Bewohnerinnen und Bewohnern auf der einen Seite, das Gewinnstreben eines großen nationalen Energieunternehmens auf der anderen Seite. Auf einer dritten Seite ist auch der Abbau von Arbeitsplätzen einzubeziehen. Wenn man Kraneis zuhört, kann es keine Neutralität in dieser Auseinandersetzung geben. Die Einmaligkeit der Dörfer als räumliche identitätsstiftende Einheiten sind höher zu bewerten als die Gewinneinbußen eines Konzerns, der über viele Geschäftsfelder verfügt und Arbeiterinnen und Arbeiter, die vielleicht ihre Stelle verlieren, sollten Sozialpläne nicht greifen, aber nicht ihr Zuhause.
Heimatbilder
Thilo Kraneis konnte ich gewinnen, sich am Projekt “Heimatbilder” zu beteiligen. Seine Ansichten zum Thema sind Teil des gleichnamigen Buches als eine Sammlung von profitierten Ansichten zu dem, was Beheimatung, Identität und das Gefühl des Zuhauseseins bedeuten können.
Sie können das Buch im Webshop bestellen
weitere Informationen:
taz 05.08.2019: Dorf wehrt sich gegen Kohlebagger
Pödelwitz will nicht weichen
Die Bürgerinitiative Pro Pödelwitz
Greenpeace: Kohle im Dorf lassen
(26.3.2017)
Der Spiegel
Warum durch das Dorf Pödelwitz ein Riss geht
28.2.2016
Die letzten Tage von Pödelwitz
12.6.2016
Leipziger Volkszeitung: Das kleine Dorf Pödelwitz stemmt sich gegen den Abriss
1.4.2017
Mitteldeutscher Rundfunk
1.000 Osterglocken gegen den Tagebau
28.3.2017
Der Ort Pödelwitz strahlt im Sonnenlicht eine eigentümliche Ruhe aus.